Die Jugendarbeitslosigkeit in Uganda ist enorm. Wie sich junge Start-Up-GründerInnen dank neuer Technologien ihre eigenen Arbeitsplätze schaffen, berichtet Simone Schlindwein.
Margaret Nanyombi steckt ein Kabel in ihr Mobiltelefon und zeigt auf das Display: „Diese App liest die Werte im Urin und übermittelt sie dann direkt an ein Gesundheitszentrum in der Nähe“, erklärt die Uganderin ihre Erfindung. Auf dem Schoß hält sie zwei kleine Plastikboxen, die über das Kabel mit dem Handy verbunden sind: In der einen steckt ein Messstab, der den Bakteriengehalt im Urin messen soll. In der anderen klemmen Batterien, Schaltkreise, Kabel und Drähte – Nanyombis eigene Erfindung: das sogenannte BV-Kit.
Mit diesem kleinen Gerät sowie der eigens programmierten App für das Smartphone sollen in Zukunft Ugandas Frauen und Mädchen zu Hause selbst gynäkologische Untersuchungen durchführen können, so die Idee. Alles, was sie neben dem Kit benötigen, ist ein Smartphone und eine Urinprobe. Die 27-jährige Absolventin des Informatikstudiums an Ugandas staatlicher Universität Makerere bastelt seit zwei Jahren an diesem Prototyp. Der Grund: „Die Mutter meiner besten Freundin starb vor zwei Jahren an Gebärmutterhalskrebs“, erinnert sich Nanyombi.
Damals informierte sich die junge IT-Studentin im Internet und fand heraus: Die Todesrate bei Gebärmutterhalskrebs ist für Frauen in Afrika um ein Vielfaches höher als in Europa oder Amerika. Der Grund: Afrikanische Frauen lassen sich nur selten gynäkologisch untersuchen. Die Ansteckung mit dem HP-Virus, das Gebärmutterhalskrebs verursachen kann, bleibt in Afrika meist unentdeckt – und damit unbehandelt.
Handy statt Arzt. „Die meisten Frauen und Mädchen in Uganda gehen erst zum Gynäkologen, wenn etwas ernsthaft wehtut“, erzählt Nanyombi. Eine Krankenversicherung könnten sich nur die reichen UganderInnen leisten. In den Gesundheitszentren in den Dörfern gebe es meist keine Gynäkologie, geschweige denn Laboratorien. Die meisten Ärzte seien zudem Männer. „Wir jungen Frauen sind scheu, dem Arzt zu erzählen, wenn im Unterleib etwas juckt oder brennt“, sagt Nanyombi und kichert etwas schüchtern. Dann zeigt sie wieder auf ihr Handydisplay: „Hier kann man ganz unkompliziert die jeweiligen Symptome eingeben und die App gibt dann eine mögliche Diagnose und den Ratschlag, sich testen zu lassen“. Sie klickt auf das Display: „Jetzt übermittelt die App all diese Daten bereits an den Arzt in deiner Nähe.“ Die junge Frau im pinken Kleid lacht und strahlt über das ganze Gesicht.
Starthilfe. Erfinderin Nanyombi ist aufgeregt. Heute soll sie ihre Erfindung der Öffentlichkeit präsentieren. Sie sitzt auf einer Bank im Garten des Geländes des Resilient Africa Network (RAN), einer Nichtregierungsorganisation, die JungunternehmerInnen mit kreativen und innovativen Ideen wie Nanyombi hilft, sogenannte Start-Up-Unternehmen zu gründen.
Jedes Jahr vergibt die von der US-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID finanzierte Organisation RAN in Uganda ein Dutzend Stipendien an JungunternehmerInnen, in der Regel Uni-AbsolventInnen der Studiengänge Informatik, Elektrotechnik oder Architektur, um ihre Ideen umzusetzen.
Die StipendiatInnen des Jahrgangs 2016, darunter Nanyombi, sollen heute ihre Prototypen vorstellen. Nanyombi und ihre MitstipendiatInnen bereiten sich auf die BesucherInnen vor: Flyer und Visitenkarten werden ausgelegt, die Prototypen aufgebaut. Neben Nanyombis Stand hantiert der 24-jährige Ben Wokorach an einem solarbetriebenen Elektrofahrrad, auf dessen Gepäckträger ein Kühlcontainer montiert ist. Damit können Kleinbäuerinnen und -bauern ihre Tomaten oder Ananas erntefrisch zum Markt transportieren. Nanyombis beste Freundin Grace Nakibaala, eine 23-jährige Architekturstudentin, betätigt ein Pedal, das an einen Wasserhahn angeschlossen ist. „Damit kann ich den Hahn bedienen, ohne dass ich ihn angreifen muss“, erklärt sie. Die Idee sei ihr während der Ebola-Epidemie 2014 in Westafrika gekommen.
Daneben testen zwei 24-jährige Ingenieure ein kleines Gerät, das an einen Computer angeschlossen ist. „Man steckt einfach den Finger in das Messgerät und die Software zeigt dann an, ob man Malaria hat“, erklärt Erfinder Brian Gitta. In seinen Versuchen hat er herausgefunden, wie sich ohne Blutabnahme, einfach durch magnetische Messungen Malariaparasiten feststellen lassen.
Neue Arbeitsplätze. All diese jungen Kreativen haben im vergangenen Jahr ihre eigenen Firmen gegründet. „Wir wollen die innovativen Ideen soweit kanalisieren, dass die gut ausgebildeten Absolventen nicht als Arbeitssuchende die Uni verlassen, sondern ihre eigenen Unternehmen gründen und damit letztlich Arbeitsplätze schaffen“, so RAN-Sprecherin Harriet Adong.
Ugandas Jugendarbeitslosigkeit ist ein gewaltiges Problem. Laut der jüngsten Volkszählung von 2016 sind 77 Prozent der rund 38 Millionen UganderInnen unter 30 Jahre alt. Davon sind 58 Prozent arbeitslos. Junge Frauen wie Nanyombi sogar zu 65 Prozent.
Am schlimmsten sind UniversitätsabsolventInnen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren von der Arbeitslosigkeit betroffen, ergab die Volkszählung von 2016. Der Grund: Ugandas Wirtschaft basiert auf der Landwirtschaft, es gibt nur wenig Industrie. Der größte Arbeitgeber ist der Staat. Doch aufgrund von Vetternwirtschaft bekommen meist nur diejenigen Jugendlichen einen Job, die die besten verwandtschaftlichen Beziehungen und nicht die beste Ausbildung haben. Junge Frauen wie Nanyombi, Tochter einer alleinerziehenden Mutter auf dem Land, gehen leer aus.
Schutz der Ideen. Nanyombi verteilt stolz ihre Visitenkarten. „Gründerin“ steht als Titel unter ihrem Firmennamen „Her Health“, übersetzt: „Ihre Gesundheit“. Im Rahmen des RAN-Stipendiums, umgerechnet rund 4.700 Euro, hat sie mit vier Studienfreundinnen eine Firma gegründet, ein Patent für ihren Prototypen angemeldet sowie die ersten Studien in Gesundheitszentren durchgeführt. Dabei wurde sie von RAN-BeraterInnen begleitet. Umgerechnet 1.600 Euro hat sie für die Registrierung des Patents bereits investiert – und noch immer hat sie nicht alle Daten für die Patentvergabe zusammen. „Dabei ist es sehr wichtig, so rasch wie möglich die Eigentumsrechte geltend zu machen, denn es passiert immer wieder, dass Leute aus dem Westen oder aus Asien im Internet auf Erfindungen aus Afrika stoßen und dann die Ideen klauen“, so Nanyombi.
Das will sie auf jeden Fall verhindern, sagt sie und erzählt von ihrer Reise in die USA im vergangenen Jahr. Dort hatte sie an einem internationalen Wettbewerb teilgenommen. „Die Leute waren wirklich erstaunt, mit welchen Ideen wir Afrikaner daherkommen“, erzählt sie lachend.
Simone Schlindwein ist freie Journalistin in der Region der Großen Seen.
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